Bei funktionellen Störungen sind orthodontische Maßnahmen nicht ausreichend und mit großen Risiken behaftet. Das gilt für Kinder und Erwachsene gleichermaßen.

Systemisch gedacht, sind Eingriffe in komplexe Zusammenhänge in ihren Wirkungen, niemals exakt vorherzubestimmen. Dabei ist es egal ob es sich um Volkswirtschaften oder den Kauapparat handelt. Hilfe zur Selbsthilfe ist immer der bessere Weg, er eröffnet die Möglichkeit, dass Veränderungen organisch von innen wachsen, ohne das System als Ganzes zu gefährden.

Betrachtet man den Kauapparat isoliert, befindet man sich in einem dreidimensionalen Raum, in dem zu denken die meisten bereits überfordert. Er muss aber in Verbindung mit der neuronal gesteuerten Muskulatur, der psychischen Stimmungslage, der Persönlichkeitsstruktur und der geistigen Entwicklung betrachtet werden, ja selbst der Platz in der Gesellschaft, in der sich die dazugehörige Person befindet, spielt eine Rolle. Das komplexeste überhaupt vorstellbare System. Letztlich eine „ Blackbox“.

Die funktionelle Matrix von Melvin L. Moss (1) versucht systemisch die Wachstumsprozesse zu erklären. Dabei ist es nicht notwendig alle Zusammenhänge im Einzelnen erklären zu können. Wesentlich ist die Erkenntnis, dass Wechselwirkungen bestehen die voneinander abhängen und sich gegenseitig beeinflussen. Die Wissenschaft streitet lediglich um den Stellenwert  der sich bedingenden Faktoren.

Fränkel hat die funktionelle Matrix für die KFO nutzbar gemacht und wesentlich beeinflusst. Dass heute die epigenetischen Einflüsse und nicht das Genom, als überwiegend das Wachstum bestimmend betrachtet werden, war sein Beitrag. Moss hat dem Rechnung getragen und 1997 die funktionelle Matrix im Sinne von Fränkel evaluiert.

Die Muskulatur, als dynamischer Gestaltungsfaktor, machte sich Fränkel nutzbar um mit Funktionsreglern steuernd einzugreifen. Nicht durch direkte mechanische Wirkung sondern indirekt durch den Funktionsregler beeinflusste tonische Funktionsmuster. Orthopädische physische Maßnahmen alleine sind dafür nicht ausreichend, Psyche und Eltern wurden eingebunden um das Kind bei diesen Lernprozessen zu unterstützen. Behandlungsziel war nicht eine perfekte Verzahnung, sondern ein kompetenter entspannter Lippenschluss.

Fränkel richtig verstanden leistet Hilfe zur Selbsthilfe, indem er als Orthopäde muskuläre Störungen behebt oder abmildert, um einer natürlichen harmonischen Entwicklung den Weg zu ebnen. Was ein völlig anderer Therapieansatz ist, als die Mechanotherapie der Orthodonten.

ZU (1)
Das Konzept der „ Funktionellen Matrix“ erklärt den genomen und epigenetischen Einfluss auf Wachstum und Entwicklung.
Ursprünglich unterstützt dieses Konzept die genome Theorie genetischer Steuerung als Kontrollfaktor von Wachstum und Entwicklung. 1997 von Moss evaluiert.

Epigenetische Prozesse und Ereignisse sind der nächstliegende Anlass, und als solche die primären Faktoren für die Skelettale Entwicklung.

Epigenetische Mechanismen werden als Hebel zur Auslösung einer Kettenreaktion von Informationen angesehen, welche zurückführt auf die zelluläre Ebene, und so die Veränderung bewirkt.

Zur Abgrenzung vom allgemeineren Konzept der Genregulation sind heutige Definitionen spezieller.

„Der Begriff Epigenetik definiert alle Veränderungen in der Genexpression, die nicht in der DNA-Sequenz selbst codiert sind.“

Das ist gemeint, wenn Prof. Fränkel und Moss wachstumsbestimmende, tonische Muster als epigenetischen Faktor beschreiben. Das erklärt Familienähnlichkeiten die eben nicht Gott gegeben sind. Denn auf Faktoren die nicht in der DNA-Sequenz codiert sind, kann man Einfluss nehmen.

Das ist das Intellektuelle Fundament „Funktioneller Orthopädie“


Dazu geschichtliches zur Entwicklung der KFO

Herr Fränkel wurde für sein grundlegendes Werk „Funktionskieferorthopädie und der Mundvorhof als apparative Basis“ von 1967 mit Auszeichnungen weltweit überhäuft und ist mit Sicherheit, auch heute noch, der prominenteste deutsche Kieferorthopäde. Die Kernaussagen waren:  es ist falsch von einer Funktionskieferorthopädie zu sprechen, weil die mechanischen Wirkungen des Monoblocks ( Aktivator, Bionator usw. ) im Wiederspruch der funktionellen Zusammenhänge des Kauapparats stehen. (2) 
Dem stellt er sein orthopädisch wirkendes Gerätekonzept gegenüber. Seine nicht unbegründete Sorge, dass die traditionell, im mechanischen denken verhaftete Zahnmedizin damit ein Verständnisproblem hat, gipfelte in der Formulierung:

Funktionsregler wirken indirekt über die Muskulatur und nur wer diesen abstrakten Denkschritt vollzogen hat, soll damit arbeiten.

Als ich, als junger Techniker, mit Funktionsreglern konfrontiert wurde, gab es nur das Buch „ Technik und Handhabung der Funktionsregler“ von 1984. Schon damals wunderte ich mich über die fehlende Logik in diesem Buch. Herr Fränkel, damals 76 jährig schrieb ein wunderbares Vorwort das nicht zur klinischen Anwendung passte. Diesen Wiederspruch konnte ich lange nicht auflösen, denn die Kernaussagen wurden unterschlagen. Und als Techniker bleiben mehr Fragen als Antworten.

Wie ist so etwas möglich? Die mechanisch denkenden Orthodonten, seines eigenen Instituts, waren nicht in der Lage den notwendigen abstrakten Denkschritt zu vollziehen. Sie haben aus einem orthopädisch wirkenden Gerät ein ganz normales mechanisches FKO-Gerät gemacht, das sich nur dadurch, dass sich seine Kunststoffanteile im Mundvorhof befinden, vom Aktivator oder Bionator usw. unterscheidet. Mit der fatalen Konsequenz, dass man unphysiologische FKO-Geräte bis heute verwendet. Obwohl Fränkel, wissenschaftlich sauber und eindeutig, schon vor über fünfzig Jahren nachgewiesen hat, dass sie als funktionelle Geräte weitgehend unbrauchbar sind.  Soviel zum Wissenschaftsbetrieb der erfolgreich segensreiche Erkenntnisse deckelt, weil orthopädisch zu arbeiten und zu denken ungleich schwerer ist, als die überschaubare Welt eines Orthodonten (Zähne bewegen).

Zu (2)
Auszüge aus der Begründung warum Andresen/Häupl-Geräte und ihre Modifikationen keine FKO-Geräte sind. Von Prof. Rolf Fränkel

Sie sind nicht Ausgangspunkt einer neuen funktionellen Behandlungsweise, sondern als krönender Abschluss der biomechanischen Plattentherapie zu werten.

Die mechanische Beanspruchung des Kieferskeletts durch den Monoblock stellt sich außerhalb der natürlichen Zusammenhänge


Auszüge vom Nachruf zum Todestag  von Prof. Fränkel  am  9. September 2001 
von A. Demisch, Bern ( Monatsschrift, Zahnmed, Vol 111: 11/2001

Dass sich das kieferorthopädische Konzept von Prof. Rolf Fränkel trotz seiner überzeugenden Qualitäten, weder in Deutschland noch in den USA wirklich durchzusetzen vermochte, hat wohl verschiedene Gründe. Den Funktionsregler korrekt herzustellen scheint die Zahntechniker zu überfordern. Auch das Eingehen auf den Patienten, seine sorgfältige und motivierende Führung- vermochten in einer Zeit, welche Resultate immer „subito“ fordert, bei weiten nicht alle nachvollziehen, auch wenn sie eigentlich vom Sinn und dem herausragenden intellektuellen Gehalt des Konzepts voll überzeugt waren.